Hier eine gelungene Zusammenfassung von Fr. Dr. Hartmann-Kottek:

Was lässt sich als Alleinstellungsmerkmal der Gestalttherapie ansehen? 

  1. Sie geht prozesshaft vor, das heißt, sie folgt den vom Unbewussten geleiteten Schritten des Patienten im Rahmen eines speziellen Musters der Zusammenarbeit zwischen Thera-peut und Patient, das wir „experiential confrontation“ nennen. Vor dem Hintergrund einer vertrauensstiftenden, therapeutischen Ich-und-Du-Beziehung trifft hier (aufseiten des Therapeuten) der phänomenologische Ansatz mit seiner bewertungsfreien, exakten Beob-achtung auf unbewusste Äußerungen des Pat., der sich nun mit seiner Aufmerksamkeit lenken lässt, und eröffnet für seine Assoziationsketten einen Raum für eine angstfreie, selbstdeutende, assoziativ punktgenaue Landung. Das kann eine Erkenntnis sein, die das bisherige Selbstbild infrage stellt. Es ist schwer, vor Zeugen zu leugnen. Es scheint meist passender, das Selbstbild zu erweitern und das Ereignis zu integrieren. 
  2. Ferner folgt die Gestalttherapie dem Patienten bedarfsweise in seine Vergangenheit, die szenisch vergegenwärtigt wird, um die Engramme unteroptimaler Konfliktlösungen zu aktivieren und durch ressourcennutzende, reifere Neuerfahrungen zu ersetzen. 
  3. Typisch ist die innere, selbstorganisatorische, emotionale Ordnungsarbeit zwischen dissonanten Teilaspekten, die über Identifikationsarbeit, dialogische Auseinandersetzungen und mehrfachen Rollenwechsel, was die gegenseitige „Mentalisierung“ voran treibt und die Stimmigkeit des gesamten Systems erhöht. 
  4. Zum Handwerkszeug gehört einesteils eine hohe Achtsamkeit, speziell für die Bewusst-heits- phänomene, sei es für das eher passive Gewahrwerden oder für den aktiven, schöpfe-rischen Prozess der Aufmerksamkeitsenergie, die den Gegenstand des Interesses in den Vordergrund holt. 
  5. Last but not least liegt eine der größten Bedeutungen bei der Anwendung von Bubers Doppel- Ansatz „Ich-und-Du“, bzw. „Ich-Es“, wodurch der wichtige Entscheidungs-Spielraum zwischen Kontaktfeld und Kontaktgrenze erfasst wird sowie die Möglichkeit ihrer zeitgleichen, differenzierten Nutzung. 

Zusammenfassend lässt sich die Gestalttherapie als eine Verfahren beschreiben, das die basalen Wirkprinzipien der anderen Schulen-Richtungen enthält und verdichtet, aber mit ihren spezifischen Vorgehensweisen über diese hinausgeht.